Freitag, 24. Januar 2014

"Wolf Hall" von Hilary Mantel


Die momentane Gallionsfigur des intellektuellen historischen Romans, also des historischen Romans jenseits von vorhersehbaren Handlungen und stromlinienförmigen Charakteren, ist zweifelsohne Hilary Mantel. Nicht ohne Grund hat sie für ihre beiden letzten historischen Romane, "Wolf Hall" (dt.: "Wölfe") und dessen Fortsetzung "Bring Up the Bodies" (dt.: "Falken"), bei denen es sich um die ersten beiden Bände einer Trilogie handelt, einen der renommiertesten aller Literaturpreise, den englischen "Booker Prize" gewonnen. Mit dem Vorwissen der besonderen Qualität dieser Lektüre bin ich also an selbige herangegangen - und wurde nicht enttäuscht. Ja, "Wolf Hall" ist etwas besonderes - zweifelsohne!
Es geht im Wesentlichen um Thomas Cromwell-einen der Architekten der Anglikanischen Kirche und anderer zentraler Reformen in der Geschichte Großbritanniens, den Staatsmann, der unter Heinrich dem Achten wie kaum ein anderer Karriere gemacht hat um dann umso tiefer vom Rad der Fortuna zu fallen bzw. der seinen einzigartigen Erfolg mit seinem Leben bezahlen musste.
Das Reizvolle an "Wolf Hall", das den Familiensitz von Heinrichs dritter Ehefrau Jane Seymour bezeichnet, ist, dass die historischen Fakten und auch die zwischen ihnen aufklaffenden Lücken aus der Perspektive Cromwells berichtet werden.
Das Buch verhandelt die Mechanismen der Macht und zeigt auf, wie gefährlich es ist sich im Dunstkreis ebendieser Macht zu bewegen. Das Spannende sind natürlich die Sequenzen, die Hilary Mantel sich aus dem Leben Cromwells herauspickt bzw. die sie dem Erfolgsmenschen Cromwell zuschreibt. Sie zeigen wie dicht er in den politischen Intrigen und persönlichen Auseinandersetzungen am schillernden Hof Heinrichs des VIII. involviert war. Er war sein wichtigster Minister, der seine Schachzüge bezüglich der Trennung von seiner ersten Frau, Katharina von Aragon und der damit verbundenen Abspaltung von der römisch-katholischen ausgeführt und in vielen Fällen auch entworfen hat. Dabei wird Cromwell entgegen der geschichtlichen Darstellung, die ihn als skrupellosen Machtpolitiker einstuft, als Mensch gezeigt, der viele private Verluste hinnehmen musste und dennoch seinem Land und seiner Krone als Politiker gedient hat, der oft zur rechten Zeit am richtigen Ort war. Seinen Sturz erleben wir wahrscheinlich erst im dritten, noch nicht veröffentlichten Teil der Trilogie. In "Wolf Hall" geht es um seinen Aufstieg, in dem Glück und Machtbewusstsein, Wissen und Intrigen wichtige Qualitäten sind.
Hilary Mantel ist eine Meisterin der Charakterisierung - sie weiß wie sie die historischen Personen zeichnen soll um sie vom allgemein bekannten Bild, das wir von ihnen haben, abzuheben und sie zu etwas besonderem zu machen.
So viel mag ich gar nicht mehr zu diesem herausragenden Werk sagen außer dass es jeder lesen sollte, der sich für die Tudorzeit interessiert und für den historischen Roman mit Mehrwert.

Meine Ausgabe:
Verlag: Fourth Estate
Erscheinungsjahr: 2009
Deutsche Erstausgabe "Wölfe": 2010 (Dumont)
Seiten: 652
ISBN: 9780007351459

Mittwoch, 8. Januar 2014

"Dreikönigsmord" von Bea Rauenthal (= Kommissare auf Zeitreise, Bd.1)

Wie lange hab ich auf so ein Buch gewartet? Ich kann es gar nicht beschreiben wie sehr mich hier die Vorankündigung interessiert hat: ein Krimi sollte es sein, bei dem ein Mord von zwei gegenwärtig lebenden Kommissaren in der Vergangenheit aufgeklärt werden würde. Das klang für mich nach einem tollen anachronistischen Leseerlebnis und ich kann schon mal vorweg sagen - ich wurde nicht enttäuscht.
Zunächst mal zur Rahmensituation: die beiden Kommissare Jo Weber (weiblich, 36) und Lutz Jäger (34) sind Kollegen mit sehr unterschiedlichem Naturell - sie ist die überkorrekte Beamtin und kinderlose Karrierepolizistin, die natürlich (vor allem was ihr Privatleben betrifft) auch eine verletzbare Seite hat, die sie aber tunlichst zu unterdrücken versucht und er ist der wilde und unkonventionelle Abenteuer-Polizist, der genau diese Komponente an seinem Beruf so mag, er trägt eine verwegene Gesichtsbehaarung, ansonsten kocht und er gerne (im Gegensatz zu seiner Kollegin) und mag wie fast jeder Mann Fußball. So weit also das Persönlichkeitsprofil der beiden Polizeibeamten, die im beschaulichen Städtchen Ebersbach ihren Dienst verrichten. 
Eines Tages zu Beginn der Adventszeit werden Jo und Lutz zum nahegelegen Kloster gerufen, um einen Leichenfund zu begutachten. So weit so alltäglich - wäre da nicht eine mumifizierte Leiche vorhanden, die laut der sympathischen Gerichtsmedizinerin Yun-Si Mittermeier bereits mehrere hundert Jahre tot sein muss. Kein Fall also für die beiden Kommissare - denken sie, denn bei der Heimfahrt erleiden sie nach einem kurzen Disput einen Unfall, der sie geradewegs in die Zeit katapultiert, in der der Mord geschehen ist: 1380.
Dort finden sich die beiden wieder als Josepha Weber, eine verwitwete Tuchhänderin und als Lutz Jäger, der zweifelhaft beleumundete Kneipenwirt der "Grünen Traube". Schnell finden die beiden heraus dass sie besser mit- als gegeneinander arbeiten in dieser fremden Zeit. Sie lernen die alte, aber sehr toughe Äbtissin des Klosters kennen, die sie über den Toten informiert und ihnen klarmacht dass sie erst wieder in ihre eigene Gegenwart reisen dürfen, wenn sie das Verbrechen aufgeklärt haben.
Bea Rauenthal schafft es mit diesem anchronistischen Zeitreisekrimi, der er erste in einer Trilogie ist, dass man komplett das Gefühl hat mit Lutz und Jo ins Mittelalter einzutauchen. Der übersichtliche Ort wird topografisch eindrücklich erzählt, es wird viel Wert auf Detailreichtum und Atmosphäre gelegt. Die Charaktere werden absolut lebendig charakterisiert, sowohl Protagonisten als auch alle anderen Figuren sind anschaulich dargestellt. Die Geschichte ist so unterhaltsam, teilweise ironisch und natürlich auch spannend, dass man rundherum alles vergisst. Die Anzahl der Verdächtigen ist genau richtig, der Leser wird wie die beiden Kommissare auf verschiedene Fährten geführt und letztlich vom Ausgang auch überrascht.
Alles in allem ist dies wirklich ein überaus gelungener Auftrakt einer tollen Krimireihe, deren zweiter Teil bereits in wenigen Tagen erscheint.

Meine Ausgabe:
Verlag: List
Seiten: 348
Erscheinungsjahr: 2013
ISBN: 9783548611808

Donnerstag, 2. Januar 2014

"Naschmarkt" von Anna Koschka


Vor rund einem Jahr hat dieses Buch ziemliche Wellen unter Chick-lit-Leserinnen geschlagen und nun schon mit dem zweiten Teil der Reihe, "Mohnschnecke", eine Fortsetzung gefunden. Da ich gelesen habe dass das Buch in Wien spielen sollte und von einer Literaturverrückten Singledame handeln sollte habe ich selbiges meiner Mutter geschenkt (nicht ganz uneigennützig) und es mir von ihr vor kurzem ausgeliehen.
Da der Roman sehr gehyped wurde habe ich natürlich auch viel erwartet - aber wie so oft wird man bei Bestsellern enttäuscht weil Realität bzw. eigenes Empfinden und hohe Erwartung selten Hand in Hand gehen.
Aber zum Inhalt: Dotty (Dorothy) Wilceck (gerade 30 geworden) ist eine Wiener Literaturredakteurin, die beim "Österreichboten" Rezensionen aktueller Bücher schreibt - ein "larger than life"-Traumjob für alle die gerne und viel lesen und ihre Meinung zum Gelesenen kundtun. Ihre englische Mutter führt einen Laden names "Pies & Pages" in dem sie Literaturkränzchen mit Tea & Scones organisiert. Ja,  das wäre für jede Jane-Austen-vergötternde Literaturstudentin das Himmelssetting auf Erden, wenn da nicht - zunächst - die Abwesenheit eines "Mr. Darcy" zu kristieren wäre: Dotti ist nämlich Single und zwar aus absoluter Überzeugung! Warum sollte man sich in zu enge Klamotten quetschen um blöde Männer, die noch nie ein Buch gelesen haben zu beeindrucken wenn man doch in bequemen Klamotten mit dem Kater auf der Couch kuscheln kann und - genau - lesen. Dotti ist also jemand, der ganz und gar keinen Mann sucht und keine Beziehungslücke in ihrem Leben finden kann: sie hat einen Haufen Freundinnen, einen Traumjob, eine tolle Wohnung, eine liebe Katze und gaaanz viele Bücher. Nur blöd wenn man von seinem Chef plötzlich aufgebrummt bekommt einen Blog zu führen zum Thema Dating & Co - aus der Sicht eines selbsternannten Mauerblümchens...
So schreibt sie nun ihre Blogtexte, die auch der Leser des Buches präsentiert bekommt und zwischendurch lernt sie reale - oder zumindest digital existierende Männer wie "djfleming" kennen, die auf ihren Blog und die Frau dahinter unterschiedlich reagieren.
Die Autorin spielt mit dem Potential neuer Medien und ihrem Einfluss auf die Partenersuche- und -findung, vor allem Twitter hat es ihr angetan. Das mag ja recht nett sein von der Erzähltechnik und inhaltichen Auseinandersetzung, aber ein guter Frauenroman steht und fällt mit seiner Protagonistin, die mir leider bis zum Schluss alles andere als sympathisch ist. Ihre leichte Neigung zu Besserwisserei gepaart mit Sturheit wird auch durch die wenigen sympathischen Unzulänglichkeitsmomente nicht gerettet und hinterlässt einen faden Beigeschmack. Aber wahrscheinlich bin ich auch einfach nur komisch bzw. habe es nicht verstanden, welchen Charme und Esprit die liebe Dotti, mit der sich so viele identifizieren können, versprüht.
Auch die Geschichte an sich ist gut gemeint, ganz gut geschrieben (also vom Sprachlichen her) und mit der Idee einer literarischen Schnitzeljagd eigentlich mit einem interessanten Plot-Katalysator gesegnet - leider hat sie mich nicht mitreißen können. Ich hatte beim Lesen das Gefühl dass sich die Autorin nicht entscheiden konnte ob sie nun eine sozialkritische Abhandlung über das Singledasein schreiben möchte mit einer Protagonistin, die Sprachrohr dieser Haltung ist, die alle "Weibchen" verarchtet, die sich nach einer Beziehung sehnen oder einen Schlaraffenland-Wohlfühlroman für "Bücherfrauen" bei dem die Literaturredakteurin dann doch ins obligatorische Happy End mit dem ihr die Welt zu Füßen legenden Mr. Right erlebt.
Eigentlich schade, schade, schade dass ich hier nicht vollständig mitgehen konnte - schließlich ist doch eigentlich alles ganz nach meinem Geschmack. Auch ich bin nur eine Bücherfrau, die den ganzen Tag im "Pies&Pages" hocken, Scones futtern und über - und mit - Oscar Wilde philosophieren möchte, aber leider leider fühle ich dabei den Drang "Naschmarkt" ohne Wehmut zurück ins Regal zu stellen...

Meine Ausgabe:
Verlag: Knaur
Erscheinungsjahr: 2012
Seiten: 448
ISBN: 3426511207